Frühling ist Aufwachen als Jahreszeit. Aber nicht so ein Aus-dem-Schlaf-gerissen-Werden vom nervtötenden Piepen des Weckers, sondern ein Ganz-von-alleine-Wachwerden von den ersten Sonnenstrahlen am Morgen, ein Diesmal-nicht-snoozen-Wollen, sondern Direkt-Aufstehen. Im Februar zieht der Winter sich oft zäh dahin, die Winter-Depression kickt rein und wenn dann das erste Mal die Sonne wärmt, geht ein kollektives Aufatmen durch die ganze Stadt. Endlich geht’s wieder los mit dem Leben.
Mit dem Frühlingsbeginn verbindet sich auch oft das Bedürfnis, das Alte hinter sich zu lassen, auszumisten, neu aufzubrechen, nach vorne zu schauen, die Matschkruste von den Stiefeln zu kratzen und den Staub vom Mantel zu schütteln. Ich habe zum Beispiel meine Fenster geputzt, weil ich erst jetzt, wo die Sonne direkt draufschien, gemerkt habe, wie schmutzig sie sind. Frühjahrsputz eben.
So ein Frühjahrsputz hat was Befreiendes. Wir machen nicht nur unsere Wohnungen zurecht, sondern auch unsere Seelen. Diesen Frühjahrsputz der eigenen Seele kann man mit unterschiedlichen Ritualen begleiten. Ein Ritus, das ist laut der Psychologin und Sinnforscherin Tatjana Schnell eine regelmäßige Handlung, die mit einer Bedeutung versehen wird. Der Ritus ist nicht “einfach nur” die Alltagshandlung selbst – eine Routine –, sondern übersteigt diese unmittelbare Ebene. Steve Kennedy Henkel beschreibt Rituale in seinem Buch Rituale für Hipster & Heilige und alles dazwischen mit dem Philosophen Byung-Chul Han als “Techniken der Einhausung”. Das, was mir wichtig ist, zieht bei mir ein.
Es gibt sogar Studien dazu, dass ritualisierte Formen einen Einfluss auf unser Wohlbefinden haben, und zwar unabhängig davon, ob man an eine solche Beeinflussung glaubt oder nicht. Rituale fördern Achtsamkeit und Genuss und sie verstärken das Gefühl von Kontrolle über eine Handlung.
Wie kann ich also meinen Frühjahrsputz ritualisieren? Vielleicht sogar so, dass ich die Rituale auch über den Frühling hinweg beibehalten und mir so ein bisschen Frühling auch in den dunkleren Jahreszeiten bewahren kann?
In diesem Artikel stelle ich Dir drei Ritualideen für den Frühjahrsputz vor.
Den Moment am offenen Fenster genießen
Im Frühling wird es heller, die Luft wird wärmer und sie riecht auf ganz bestimmte Weise. Da kann man eigentlich gar nicht anders, als die Nase in die Sonne zu strecken und die milde Wärme genießen. Die Bäume werden wieder grün und die ersten Blumen fangen an zu blühen. Der Frühling ist die perfekte Jahreszeit, um das Ritual “Den Moment am offenen Fenster genießen” auszuprobieren. Du kannst Dir dafür einen Kaffee oder Tee machen und Dich mit voller Aufmerksamkeit ans offene Fenster stellen oder Dich aufs Fensterbrett setzen. Mach das am besten direkt nach dem Aufstehen.
Schließ die Augen und zähle in Gedanken von 100 runter. Öffne anschließend die Augen.
Atme die Frühlingsluft ein und achte darauf, wie sie riecht. Wie fühlt sie sich an? Warm? Kalt? Mild? Erfrischend? Belebend? Feucht? Welche Geräusche hörst Du? Was siehst Du? Findest Du irgendwo etwas, das blüht? Scheint die Sonne? Wie ist Deine Stimmung?
Achte darauf, was Dir für Wörter und Gedanken in den Sinn kommen. Was für Situationen und Erlebnisse assoziierst Du mit dem, was Du gerade wahrnimmst?
Spüre zum Abschluss dem frischen Lüftchen nach, das durch das Fenster in Deine Wohnung hineinströmt. Was bringt es mit? Was lässt es raus? Welche verbrauchte Luft schickst Du ins Freie?
Du kannst anschließend aufschreiben, was Dir wichtig war und hängengeblieben ist.
Damit diese Übung zum Ritual wird, musst Du sie regelmäßig wiederholen. Versuche sie ganz selbstverständlich in Deine Morgenroutine einzubauen. So kannst Du Dich regelmäßig mit Deinem Inneren verbinden und Dich darauf besinnen, mit welcher frischen Energie Du in den Tag starten möchtest.
Dieses Ritual stammt aus dem Buch 40 Dinge, die du ausprobieren musst, bevor du aufhörst zu glauben, herausgegeben von Lisa Menzel und Tobias Sauer (ruach.jetzt) im Herder-Verlag (2024).
Reinigungsritual
Im übertragenden Sinne kann der Frühjahrsputz dabei helfen, Vergangenes, das an uns klebt, loszulassen. Dabei kann Dich ein Reinigungsritual unterstützen. Das Alte kannst Du auf diese Weise symbolisch abwaschen, das Schwere loslassen und abspülen.
Was Du brauchst:
Stell Dich unter die Dusche und mach das Wasser an. Du kannst Dich mit Seife oder Duschgel einschäumen oder mit einem Körperpeeling einreiben – das erhöht die symbolische Kraft. Seif Dich bewusst ein. Nimm Dir Zeit auch für die kleinen Zwischenräume, die man oft vergisst. Stell Dir dabei vor, dass Du die schweren Gedanken von Dir abwäschst. Nimm dafür gerne die Körperbürste oder den Schwamm zur Hilfe. Nimm anschließend die Brause in die Hand und spüle Dich achtsam und bewusst mit dem Wasser ab. Das Wasser schwemmt den Schmerz und das Vergangene weg. Schau dem Wasser hinterher und beobachte, wie der Schaum im Abfluss verschwindet. Stell Dir vor, dass das, was Du loslassen möchtest, es sich in dem Schaum gemütlich macht. Du musst nicht mehr für es sorgen. Dabei kannst Du laut oder in Gedanken sagen: Ich lasse Dich los.
Spüre nach, wie Du Dich fühlst und verweile noch kurz unter der Dusche. Wenn Du magst, kannst Du zum Abschluss ein Gebet wie das Vaterunser sprechen oder einfach ein Amen. Vielleicht hilft Dir auch ein Bibelvers wie: “Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.” (2. Kor 5,17). Du kannst auch einfach so etwas sagen wie “Es ist genug.” oder einfach “Tschüss.”
Trockne Dich anschließend ab und schlüpfe in gemütliche Kleidung, in der Du Dich wohlfühlst. Kuschel Dich in eine Decke. Du kannst Dir auch eine Kerze oder schöne Musik anmachen. Sprich Dir nun (laut oder in Gedanken) positive Sätze zu wie “Ich bin wertvoll.” oder “Ich liebe und schätze mich.” Wenn Du magst, kannst Du das Ganze mit einem “Amen” abschließen.
Reinigungsriten gibt es auch in vielen Religionen – dabei geht es meist um die sog. rituelle Reinheit, z.B. im Alten Judentum, wenn man am Tempelkult teilnehmen wollte, oder auch im Islam. Rituell unrein werden konnte man durch alles Mögliche – durch den Kontakt mit Fäkalien oder auch durch moralisches Fehlverhalten. Auch die christliche Taufe ist in gewisser Weise ein Reinigungsritual. Hier steht die Taufe symbolisch für das Abwaschen der Sünden und das Neugeborenwerden.
Dieses Reinigungsritual stammt aus dem Übergangsbegleiter Auch Tränen glitzern von der Pfarrerin Theresa Brückner, auch bekannt unter dem Handle @theresaliebt auf Instagram. Auch Tränen glitzern ist 2023 bei ruach.jetzt erschienen.
Frühjahrsputz: Ausmisten und Saubermachen
Zu guter Letzt ist die Tradition des Frühjahrsputzes selbst ein Ritual. Der intensive Hausputz ist in vielen Kulturen verbreitet. Das jüdische Passahfest ist eines der ältesten Feste, zu dem das vorherige Ausmisten und Saubermachen dazugehört. Da geht es vor allem darum, die gesäuerten Lebensmittel, die an Passah in Erinnerung an die Zeit der Israeliten in der Wüste verboten sind, aus dem Haus zu entfernen. Aber auch in China oder Persien gehört die Putzaktion zu traditionellen Frühlingsfesten dazu. Im Christentum ist übrigens der Gründonnerstag der Tag, an dem traditionellerweise die Altäre geputzt werden.
Es ist kein Zufall, dass diese große Putzaktion in den Frühling fällt. Im Winter sind wir träge, weil es dunkel ist. Dadurch wird die Melatonin-Produktion angeregt – das Hormon, das uns müde macht. Wir haben weniger Antrieb. Im Frühling kommen Schaffenskraft und Motivation zurück. Wir sind in Aufbruchstimmung.
Das Putzen und Aufräumen ist sogar gut für Deine mentale Gesundheit – das haben Studien gezeigt. Zum einen beruhigt die Konzentration auf eine Aufgabe die Nerven, weil die Gedanken nicht mehr wie wild durch unseren Kopf jagen. Zum anderen beruhigt es das Nervensystem, wenn eine gewisse Ordnung und Sauberkeit im Haus herrscht. Wir haben so das Gefühl von Überblick und Kontrolle und sind nicht erschlagen von zu viel “visual noise”.
Den Frühjahrsputz kannst Du also richtig zelebrieren. Nimm Dir einen Tag frei, an dem Du Dich allem, was liegen geblieben ist, widmest. An diesem Tag wird entrümpelt und ausgemistet und alles blitzeblank gemacht. Da wird in die Schubladen geguckt, die man ansonsten lieber nicht öffnet, und gnadenlos aussortiert. Trenn Dich von dem, was Du nicht brauchst, und was vielleicht wie alter Ballast lieblos in einer Ecke Deiner Wohnung herumliegt.
Wenn Du dabei auf alte Erinnerungen stößt, die Du loslassen möchtest, nimm Dir Zeit, sie noch einmal zu würdigen als das, was sie waren, bevor Du die damit verbundenen Gegenstände entsorgst. Ähnlich wie beim Reinigungsritual kannst Du dabei einen Satz sprechen wie “Ich lasse Dich los” oder “Du darfst jetzt gehen”.
Wichtig ist beim Frühjahrsputz: Übernimm Dich nicht! Wenn Du merkst, dass Dich schon der Gedanke an die ganze Arbeit überfordert, widme Dich nur einem kleinen Bereich in Deiner Wohnung. Das Ganze soll Dir guttun.
Wenn Du fertig bist, schließe Deinen Frühjahrsputz mit etwas Schönem ab: Setz Dich mit einem leckeren Getränk auf Deinen Balkon oder besorg Dir Blumen für den Küchentisch.
Ein neuer Frühling mit neuen Erfahrungen kann beginnen!