Als Kind habe ich mir Gott als alten (weißen) Mann mit Bart vorgestellt, der auf einer Wolke sitzt und auf die Welt hinabschaut. Und auch lange Zeit danach hat diese Vorstellung noch mein Gottesbild geprägt. Auch in meiner kirchlichen Sozialisation ist mir Gott durchweg als männlich präsentiert worden – als Vater, HERR, allmächtiger Kümmerer und verwundbarer Bruder Jesus. Es gab also durchaus vielfältige Bilder von Gott – meistens waren sie aber eben männlich. Und noch etwas war ähnlich: In diesen Bildern ist es häufig so, dass Gott alles weiß – und eigentlich auch alles kann, aus irgendwelchen anderen wichtigen Gründen, etwa dem freien Willen des Menschen, aber manchmal nicht eingreifen möchte.
In diesem Artikel stelle ich fünf Zugänge vor, wie Menschen auch mal ganz anders von Gott sprechen – damit du leichter über dein eigenes Bild von Gott nachdenken und reflektieren kannst.
Die Allmacht Gottes in Frage stellen
„Gott kann auch nicht alles“ heißt das Buch von Jason Liesendahl, das im April 2024 erscheint. Lebensnah und alltagsverortet, aber trotzdem theologisch fundiert und durchdacht geht Jason darin der Frage nach, wie es eigentlich um die Allmacht Gottes steht – und was die Prozesstheologie dem entgegensetzen kann. Gott kommt dabei eine rufende, lockende Rolle zu – und obwohl Gott alle Möglichkeiten bekannt sind, trifft die Entscheidung am Ende jemand anderes.
In einem anderen Artikel unseres Magazins schreibt Jason übrigens, was Gott alles nicht kann (laut biblischen Texten) und wieso ihn das Nachdenken über die Allmacht Gottes erst im zweiten Anlauf überzeugt hat.
Jason Liesendahl: Gott kann auch nicht alles. Einführung in die Prozesstheologie. ruach.jetzt 2024.
Feministisch von Gott reden
In ihrem Buch „Gott ist Feministin“ (Herder Verlag) setzt Mira Ungewitter Geschichten aus ihrem eigenen Leben in Beziehung zu relevanten feministischen Anfragen an die Mainstream-Theologie. Zum Beispiel die patriarchale Vorstellung, Eva sei nur als “Gehilfin” des Mannes und zu seiner Unterhaltung geschaffen worden. Vielmehr ist Eva die erste Frau, die als “Retterin” Adams auftritt und im ebenbürtig oder gar erhaben ist. Oder die sich hartnäckig haltende Erzählung von der “unbefleckten Empfängnis”, die ja im Umkehrschluss bedeutet, dass Sexualität einen Menschen – vor allem offenbar Frauen – im abwertenden Sinne beflecke. Warum das eigentlich totaler Quatsch ist, begründet Mira theologisch nachvollziehbar, denn sie beschreibt Maria als eine junge, unverheiratete Frau, die im Zentrum der Geburtsgeschichte Jesu steht, mutige Entscheidungen trifft, auf Gott vertraut und mit dem Mythos von der Jungfrauengeburt das Patriarchat hintergeht.
All das bringt Mira zu dem Schluss, dass Gott nur Feministin sein kann. Und vielleicht findest du das ja auch nachvollziehbar.
Mira Ungewitter: Gott ist Feministin. Mein Leben mit Eva, Maria und Lady Gaga. Herder Verlag 2023.
Eine Vielfalt von Gottesbildern entwerfen
Weil es unmöglich ist, Gott nur mit Worten zu beschreiben, bedienen wir uns oft an Bildern, die einen Aspekt von Gott zeigen sollen. Weil aber auch die jeweils nur begrenzt anwendbar sind, geht es letztendlich um eine Vielfalt an Bildern in unseren Köpfen.
Ich kenne kaum jemanden, der mit Sprache so vielfältige, durchdachte und aufregende Bilder von Gott entwirft wie der Spoken Word Artist Marco Michalzik. Ist Gott vielleicht wie Kaffee, wie Marco in „Damn Good Coffee“ vorschlägt? Was meinst du?
Marco Michalzik: Alles wird ein bisschen anders. Lektora 2021.
Einfach mal ausprobieren
Mit dem Buch „40 Dinge, die du ausprobieren musst, bevor du aufhörst zu glauben“ (Herder Verlag) stellen wir als Team von ruach.jetzt konkrete Methoden und Übungen aus der Welt der (christlichen) Spiritualität vor, die du ganz einfach ausprobieren kannst. Gleich in mehreren geht es (ganz explizit oder im weiteren Sinne) auch um dein ganz individuelles Bild von Gott. Besonders deutlich wird das in den Kapiteln „dein Gottesbild reflektieren“ und „eine eigene Sprache finden für das, was dir wichtig ist“.
Also: Probiere es doch einfach mal aus und fordere heraus, wie du in die Welt schaust und auf das, was darüber hinausgeht.
Göttinnen & Götter aus der Popkultur oder anderen Kulturen und Religionen kennenlernen
Thor und Loki aus dem Marvel-Universum sind Götter, in diversen Videospielen geht es darum, irgendwelche Götter zu töten, oder wie bei “Hades”, in der Unterwelt unterwegs zu sein bzw. aus ihr zu entkommen. In vielen Fantasy-Welten spielen Gottheiten aus den verschiedensten Kontexten eine Rolle – und die ist auch definitiv nicht immer positiv.
Der Blick über den Tellerrand kann helfen, das Thema “Gottesbild” nochmal ganz anders anzugehen. Und da geht es nicht nur um die (popkulturellen) Medien, in denen Gottheiten verschiedener Traditionen vorkommen, sondern auch allgemein um Gottesvorstellungen anderer Kulturen und Religionen.
Ein Einstieg in diese spannenden “Götterwelten” könnte zum Beispiel das Quartett “Göttinnen & Götter” von Marlene Wassermann sein, das im regionalia Verlag erschienen ist. Marlene Wassermann hat die Gottheiten aus der altnordischen, grichischen, keltischen, mesopotamischen, japanischen, indiischen, ägyptischen und altrussischen Mythologie nicht nur mit den jeweiligen Symbolen illustriert, sondern sie auch in den Kategorien Popularität, Kampfkraft, Weisheit und Grausamkeit bewertet.
Marlene Wassermann: Göttinnen & Götter. Das Quartett. regionalia Verlag 2022.
Lisa Menzel